Mathematik ist mehr als Zahlen. Sie beschreibt Strukturen, entdeckt Muster und sucht nach Schönheit im Denken. Die neue Vorlesungsreihe Ars Mathematica der Fakultät für Mathematik der Universität Bielefeld will diese kreative Seite der Wissenschaft sichtbar machen. Am 7. November 2025 startet sie mit zwei Gästen, die wie kaum andere für die Verbindung von Erkenntnis und Imagination stehen: Professor Dr. Peter Scholze, Fields-Medaillen-Träger und einer der bedeutendsten Mathematiker seiner Generation, sowie Professor Oswald Egger, Georg-Büchner-Preisträger 2024 und Grenzgänger zwischen Sprache, Philosophie und Wissenschaft.
„Wir möchten Mathematik als lebendige, schöpferische Disziplin zeigen, die Denken und Wahrnehmen verändert“, sagt Professor Dr. Henning Krause, Mitorganisator der Reihe. „Die Ars Mathematica soll Forschung aus dem Elfenbeinturm holen und in einen Dialog mit der Gesellschaft bringen.“ Beide Vortragenden erkunden auf ihre Weise die Grenzen zwischen Denken und Gestalten, Wissenschaft und Sprache.

© Universität Bielefeld/Stefan Sättele
Neue Räume des Denkens
In seinem Vortrag „Condensed Mathematics“ stellt Peter Scholze eine Forschungsrichtung vor, die er selbst mitbegründet hat. Die sogenannte „verdichtete Mathematik“ sucht nach neuen Grundlagen, um Strukturen in der modernen Analysis und Geometrie zu verstehen. Sie schafft Verbindungen zwischen Bereichen, die bislang getrennt schienen und eröffnet so neue Wege für die theoretische Physik, Informatik und Zahlentheorie.
Scholze, seit 2018 Direktor am Max-Planck-Institut für Mathematik, gilt als einer der einflussreichsten Forscher der Gegenwart. Seine Arbeiten zeigen, wie mathematisches Denken über die Grenzen des Sichtbaren hinausführt und unser Verständnis von Raum, Form und Symmetrie neu definiert.

© Bildarchiv des Mathematischen Forschungs- instituts Oberwolfach
„Mathematik hat sich für mich schon häufig wie Magie angefühlt“
Für seine Forschungsarbeiten erhielt Peter Scholze schon zahlreiche Preise. 2017 wurde er zum Mitglied der Leopoldina gewählt und in die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. 2018 wurde er mit der Fields-Medaille ausgezeichnet. Drei Fragen an Peter Scholze:
Sie beschäftigen sich mit extrem abstrakter, hochkomplexer Mathematik. Was reizt Sie daran, dieses Wissen im Rahmen von Ars Mathematica einem breiten Publikum nahezubringen?
Peter Scholze: Meine Forschung zielt eigentlich auf das Studium sehr einfacher Dinge ab, wie den ganzen Zahlen – zum Beispiel zur Lösbarkeit von Gleichungen in ganzen Zahlen. Die Methoden sind in der Tat sehr abstrakt. Es geht dann aber auch darum, die richtigen Abstraktionen zu verwenden, damit man komplizierte Argumente durchführen kann und die Komplexität beherrschbar bleibt. Und hierdurch ändert sich auch der Blickwinkel auf ganz elementare Dinge wie die reellen Zahlen, und warum 0.999… = 1.000… gelten muss – andernfalls wären die reellen Zahlen nämlich kein Kontinuum, sondern eine total unzusammenhängende Punktwolke.
Der Zugang zur Mathematik fällt vielen Menschen schwer, besonders wenn es um abstrakte Inhalte geht. Was braucht es aus Ihrer Sicht, um mathematisches Denken zu fördern – gerade bei jungen Menschen?
Peter Scholze: Die Menschen sind zu vielfältig als dass ich mir anmaßen würde hier ein Patentrezept zu kennen. Man ist versucht, zu sagen, dass man die Abstraktion in konkreten Beispielen motivieren muss; aber gleichzeitig gibt es viele, die die konkreten Beispiele überhaupt erst verarbeiten können, wenn sie die dahinterstehende Abstraktion kennen.
Bei Ars Mathematica treffen mathematische Ideen auf Literatur, Kunst und andere Disziplinen. Was kann aus Ihrer Sicht die Mathematik von solchen interdisziplinären Begegnungen lernen und umgekehrt?
Peter Scholze: Wittgenstein sagte „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, und das gilt insbesondere auch in der Mathematik. Mathematik hat sich für mich schon häufig wie Magie angefühlt, in der man durch neue Begriffsbildungen gänzlich neue Welten eröffnen kann.
Poesie der Zahlen
Oswald Egger nähert sich der Mathematik von der anderen Seite: aus der Sprache heraus. In seinem Beitrag „Die Welt in der Welt: p-adische Poetiken in Syzygie“ erforscht er, wie sich mathematische Ideen, etwa das Konzept der so genannten p-adischen Zahlen, einer alternativen Zahlenwelt, poetisch fassen lassen. Für Egger sind Mathematik und Literatur verwandte Denkbewegungen: Beide arbeiten mit Mustern, Abstraktion und Transformation. Seine Texte übersetzen mathematische Strukturen in sprachliche Bilder und zeigen, dass Präzision und Imagination keine Gegensätze sind.
Wissenschaft und Kunst im offenen Austausch
Die Auswahl der Vortragenden trifft eine international besetzte Jury unter Leitung von Martin Hairer (Lausanne/London), Ulrike Tillmann (Oxford) und Henning Krause (Bielefeld). Damit setzt die Fakultät für Mathematik ein starkes Zeichen für interdisziplinäre Forschung und internationale Vernetzung.
Mit der Ars Mathematica entsteht an der Universität Bielefeld ein Forum, das Wissenschaft und Kunst in einen offenen Austausch bringt.
