ESyMath, das steht für „Emergente Synergien in der Mathematik“. Der neue Fokusbereich soll die Zusammenarbeit von Mathematiker*innen verschiedener Fachrichtungen sowie der angrenzenden Wissenschaften Physik, Data Science und Ökonomie fördern und neue Perspektiven für die Weiterentwicklung der modernen Mathematik eröffnen. „Viele mathematische Fragen, aber auch technologische und wirtschaftliche Herausforderungen können wir nur lösen, wenn wir Synergien nutzen“, betont Sprecherin Claudia Alfes.
Algebra, Analysis, Geometrie, Zahlentheorie, Stochastik und Statistik – die Mathematik umfasst verschiedene Teildisziplinen, jede davon ist hochspezialisiert und eine Welt für sich. „Mathematische Probleme halten sich aber nicht unbedingt an ein Gebiet“, sagt Professorin Dr. Claudia Alfes. Ein Paradebeispiel ist die Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer, Fachleuten auch als ein „Millennium-Problem“ bekannt, als eines der großen, noch ungelösten Probleme in der Mathematik. Zur Veranschaulichung zeichnet Claudia Alfes eine elliptische Kurve auf ein Blatt Papier, darunter schreibt sie Zahlen und Gleichungen. Was bei den meisten Menschen wohl eher für Verwirrung sorgt, ist für die Zahlentheoretikerin hochspannend, da sich hier Verbindungen zwischen verschiedenen mathematischen Disziplinen aufzeigen lassen. Die Professorin will damit verdeutlichen, wie wichtig es ist, über den eigenen fachlichen Tellerrand zu schauen und neue Ansätze zu wagen. „Fortschritte an dieser Vermutung waren nur möglich durch die Kombination von Methoden aus verschiedenen Gebieten, wie Algebra, Geometrie und Analysis.“

© Universität Bielefeld/Michael Adamski
Mathematik als Motor für andere Wissenschaften
Künstliche Intelligenz, Klimaforschung oder Wirtschaftskrisen – auch mit Blick auf heutige technologische Entwicklungen und gesellschaftliche Herausforderungen sei es wichtig, die traditionelle Aufteilung in angewandte und reine Mathematik zu überwinden und stärker interdisziplinär zu arbeiten, betont Alfes. Als ein Beispiel nennt sie KI-Sprachmodelle wie ChatGPT, die in Sekundenschnelle Antworten und Texte liefern. „Large Language Modelle werfen noch viele mathematische Fragen auf. Mathematiker*innen reizt es, genau solchen Prozessen und Strukturen auf den Grund zu gehen. Die gewonnenen Erkenntnisse wiederum können die Arbeit in den Datenwissenschaften befruchten und voranbringen.“
Eine Plattform für interdisziplinären Austausch
Ein Ziel von ESyMath ist es, eine grundlegende Herangehensweise an Mathematik in den Wissenschaften zu entwickeln – durch das Erkennen neuer mathematischer Strukturen in Anwendungsfeldern und den Rückfluss von Methoden und Erkenntnissen in die Mathematik selbst. Professor Dr. Sebastian Herr, Sprecher des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1283, sieht ebenfalls große Vorteile darin, verschiedene Perspektiven und Arbeitsweisen zu kombinieren. „Viele Probleme in der Mathematik sind aus Physik oder Ökonomie inspiriert.“ Von grundlegender mathematischer Forschung profitieren dann wiederum Forschende in den angrenzenden Gebieten. „Die mathematische Nutzung von Symmetrien der Relativitätstheorie führt beispielsweise zu einem tieferen Verständnis der zugehörigen Differentialgleichungen.“ So kann ein Modell in der Physik besser verstanden werden. „Der Fokusbereich soll eine Plattform bieten, um hier stärker in den Austausch zu kommen“, sagt Herr. Ebenso können Klimamodelle, die auf probabilistischen Methoden beruhen, durch mathematische Grundlagenforschung präziser gemacht werden.

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Tafel, Kreide und viel Kaffee
Eine zentrale Rolle spielt dabei der geplante „Synergy Hub“ – ein Raum mit Tafeln, Kreide und Kaffeemaschine, in dem sich Wissenschaftler*innen treffen, diskutieren und gemeinsam Ideen entwickeln können. Was sich selbstverständlich anhört, ist ein kleiner Kulturwandel in der Mathematik – weg vom Klischee der einsam Forschenden, hin zu einer stärker kollaborativen Haltung über Fachgebiete hinweg. Professor Dr. Kai-Uwe Bux, Sprecher des Transregio-SFB (TRR) 358, ist überzeugt, dass mehr Miteinander einen Mehrwert hat. Um das zu unterstreichen, erzählt er die Geschichte einer Doktorandin aus der algebraischen Zahlentheorie, die während eines Retreats des TRR mit einem Postdoktoranden aus der arithmetischen Geometrie ins Gespräch kam. Aus diesem Austausch ist ein Artikel hervorgegangen, der ihre Forschungsergebnisse in eine völlig neue Richtung lenkte.
„Solche Beispiele zeigen, dass gemeinsame Räume wie der Synergy Hub ein wichtiger Baustein für unsere erfolgreiche Zusammenarbeit sind“, sagt Bux. „Wir haben festgestellt, dass die besten Ideen oft dann entstehen, wenn Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven an einem Tisch sitzen und sich gegenseitig inspirieren.“ Ein weiteres, für Bux selbst unerwartetes Resultat aus den TRR-Beziehungen ist ein gemeinsamer Artikel mit Valentin Blomer, Projektleiter im TRR 358 von der Universität Bonn, über die Zeitkomplexität von Algorithmen für zyklische Permutationen. „Ich hatte ein Problem auf die Summe der Reste im Euklidischen Algorithmus zurückgeführt, eine eigentlich zahlentheoretische Frage, und Valentin konnte die entscheidende Konstante bestimmen. Das wäre ohne unsere TRR-Verbindung niemals zustande gekommen.“ Solche überraschenden und fruchtbaren Querverbindungen sind genau das, was sich die Verantwortlichen vom Synergy Hub erhoffen.

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