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Fast alles spricht für Ignazio Cassis

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Nationalrat Kurt Fluri (SO) ist als Deutschschweizer Mann hingegen in der Rolle des Aussenseiters.
Er geht, wer kommt nach ihm? Didier Burkhalter war acht Jahre lang Bundesrat.
Fraktionspräsident Ignazio Cassis aus dem Tessin ist momentan der Kronfavorit.

Die Überraschung im Bundeshaus war gestern Nachmittag in allen Fraktionen gross. Selbst FDP-Präsidentin Petra Gössi war laut eigenen Aussagen erst um 13 Uhr über die Demission ihres Bundesrats informiert worden, drei Stunden später gab Didier Burkhalter den Rücktritt öffentlich bekannt. Burkhalter habe die Partei zu einem früheren Zeitpunkt lediglich darüber in Kenntnis gesetzt, dass ein Rücktritt im Laufe der Legislatur möglich sei, sagt Gössi.

Umso bemerkenswerter ist der Zeitpunkt des Rücktritts, weil der Bundesrat morgen eine bedeutende Klausursitzung zum EU-Dossier abhält, zu Burkhalters zentralem Thema. Viele Beobachter glauben nicht an einen Zufall. Sie deuten den Rücktritt als endgültige Kapitulation. Burkhalter hatte sich mit seinem Kampf für ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU im Bundesrat zunehmend isoliert. In den letzten Wochen war auch die Kritik aus der eigenen Partei schärfer geworden. «Am Ende war er einfach zermürbt», sagt ein FDP-Parlamentarier. In Burkhalters Umfeld tönt es ähnlich. Nach acht Jahren im Bundesrat, in denen er sich stark engagierte, habe Burkhalter «erschöpft» gewirkt, sagt eine Person aus dem Aussendepartement.

Burkhalter selbst räumte gestern vor den Medien ein, dass sein Rücktritt im EU-Dossier «eine neue Dynamik» auslösen könne. Zugleich wehrte er sich dagegen, einen direkten Zusammenhang zwischen der Blockade mit der EU und seinem Rücktritt herzustellen. Die Gründe seien rein persönlicher Natur, so Burkhalter. Über dreissig Jahre lang habe er sich auf allen Ebenen des Staates politisch engagiert. Immer habe er es mit viel Herzblut getan. Nun stehe ihm der Sinn nach einer neuen Aufgabe, bei der er weniger in der Öffentlichkeit stehe.

Sein Bedürfnis nach mehr Privatsphäre könnte auch dadurch begründet sein, dass Burkhalter vor wenigen Monaten Grossvater wurde.

Der Anspruch der FDP auf den Sitz ist bei der SVP und der CVP unbestritten. Bei der CVP ist die Lust einer erneuten Diskussion über einen Mittekandidaten gleich null. CVP-Präsident Gerhard Pfister lässt die sprachregionale Besetzung des Kandidatentickets der FDP offen. SP-Präsident Christian Levrat und Regula Rytz, Präsidentin der Grünen, wollten den Anspruch der FDP gestern nicht offiziell anerkennen. Faktisch werden aber beide Parteien wohl kaum Einwände gegen den zweiten FDP-Sitz vorbringen können.

Favorit für Burkhalters Nachfolge ist FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis. Als Tessiner geht er mit einem Vorsprung auf andere mögliche Kandidaten ins Rennen. Denn seit Jahren pocht der Südkanton auf seinen Anspruch, wieder in der Landesregierung vertreten zu sein. Letztmals war dies mit Flavio Cotti (CVP) der Fall, der 1999 zurücktrat. Im Parlament sehen viele den Rücktritt Burkhalters als grosse Chance, der zunehmenden Entfremdung des Tessins gegenüber Bundesbern und der Restschweiz entgegenzuwirken. Cassis, dem 56-jährigen Arzt aus Montagnola, wird von allen Seiten Bundesratsformat zugesprochen.

Vorbehalte gegen Cassis dürften zwar aus der SP kommen, weil dieser in der Schlussphase der Beratungen über die Reform der Altersvorsorge den Widerstand seiner Fraktion gegen höhere AHV-Renten kompromisslos anführte. Levrat habe ihm deswegen Konsequenzen angedroht, sagte Cassis im März. Cassis deutete Levrats Aussage so, dass dieser dafür sorgen werde, dass die SP ihn als Bundesrat nicht wähle. Gestern wollte sich Levrat zu einer Kandidatur Cassis direkt nicht äussern. Allerdings sagte Levrat, dass er sich mit Cassis über den Vorfall ausgesprochen habe.

Tessin wäre an der Reihe

Für die Nachfolge suche die FDP Kandidaten aus der lateinischen Schweiz, sagt Gössi. Die FDP habe traditionell einen Bundesrat aus der Deutschschweiz und einen aus der lateinischen Schweiz. Aus der Romandie gibt es in den eidgenössischen Räten kaum zwingende Kandidaten. Zum Thema werden könnte die 46-jährige Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret. Genannt werden in der Wandelhalle aber vor allem zwei Regierungsräte: der 39-jährige Genfer Sicherheitsdirektor Pierre Maudet und der 52-jährige Waadtländer Finanzdirektor Pascal Broulis. Maudet gilt als Senkrechstarter mit viel Potenzial.

FDP-Nationalrat Kurt Fluri sieht anders als Gössi keinen Grund, wieder einen Romand zu wählen. Der französischsprachige Landesteil sei auch mit zwei Sitzen ausreichend vertreten. Aus staatspolitischen Gründen hofft Fluri, dass das Tessin endlich wieder im Bundesrat präsent ist. Falls es keine Tessiner Kandidaturen gibt, plädiert Fluri für die Wahl eines Deutschschweizers oder einer Deutschschweizerin.

Falls im Parlament die Deutschschweizer Option zum Thema wird, gilt die St. Galler Ständerätin Karin Keller-Sutter als aussichtsreiche Kandidatin, zumal sich auch die Ostschweiz chronisch untervertreten fühlt. Die frühere St. Galler Justizdirektorin dürfte jedoch nur antreten, wenn sie die Wahl fast auf sicher hat – also wenn Cassis nicht kandidiert. Denn Keller-Sutter erlitt bei der Ersatzwahl in den Bundesrat von 2010 gegen Johann Schneider-Ammann eine schmerzliche Niederlage. Ebenfalls Chancen zugerechnet werden dem Bündner Ständerat Martin Schmid.

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2014 war der Neuenburger FDP-Politiker Bundespräsident. Die Bundesräte Guy Parmelin, Simonetta Sommaruga, Ueli Maurer, Alain Berset, Didier Burkhalter und Johann Schneider-Ammann (von links) anlässlich ihrer Sitzung «extra muros» in Solothurn. (29. März 2017)
Didier Burkhalter ist nach seinem Rücktritt schwer erkrankt.Gegenüber der «Glückspost» spricht er von einer Schule fürs Leben.
Verabschiedete sich 2017 von der nationalen Politbühne: Bundesrat Didier Burkhalter. (Archivbild)

Favorit Cassis wollte sich gestern zu einer Kandidatur nicht äussern. Falls er von seiner Kantonalpartei angefragt werde, überlege er sich die Kandidatur. Auch er zeigte sich vom Rücktritt Burkhalters überrascht. Wie die meisten in der Wandelhalle glaubt er, Burkhalter ziehe die Konsequenzen aus dem Widerstand gegen seine Europapolitik. «Man hat Didier Burkhalter seinen Weg in Richtung eines institutionellen Rahmenabkommens weiterverfolgen lassen, obwohl diese Richtung seit einiger Zeit nicht mehr mehrheitsfähig ist.» Dies sei vor allem der Fehler des Bundesrats. Den Rücktritt sieht Cassis als «Ausdruck einer staatsmännischen Haltung».

Auch CVP-Präsident Pfister glaubt, dass Burkhalter die Konsequenzen daraus zieht, dass er in der Europapolitik keine Mehrheit mehr hat. Der Rücktritt komme in einer Phase, in der wichtige europapolitische Entscheide erfolgten. In dieser Phase habe die Schweiz nun einen «Aussenminister mit Ablaufdatum», was die Sache erschwere. «Burkhalter ist am Widerstand von FDP und CVP gescheitert», sagt SP-Präsident Christian Levrat. Der SVP will er keinen Vorwurf machen, da sie immer gegen ein Rahmenabkommen gewesen sei.