Cassandra

[639] CASSANDRA, �, Gr. Κασσάνδρα, ας, ( Tab. XXXI.)

1 �. Namen. Insgemein wird sie zwar Cassandra genannt, hei�t aber doch auch Alexandra, wie denn auch ihr Bruder nach damaliger Weise bald Paris, bald Alexander genannt wird. Canterus Prolegom. ad Lycophr. Sie soll aber den Namen Cassandra von κάσις, Bruder, und ἀνὴρ, ἀνδρὸς, Mann, haben, weil sie an dem Hektor einen tapfern Mann zum Bruder gehabt, Alexandra [639] aber von ἀλύξαι, unwillig seyn, oder fliehen, und ἀνὴρ, oder von ἀλεξεῖν, H�lfe leisten, und ἀνὴρ gehei�en haben, weil sie, nach jenem, aller M�nner Umgang geflohen, nach diesem aber solchen mit ihrem Wahrsagen beh�lflich gewesen. Tzetz. Prolegom. ad eumd.

2 �. Aeltern. Der Vater war Priamus, K�nig zu Troja, und die Mutter dessen rechte Gemahlinn, Hekuba, eine Prinzessinn aus Thracien, welche sie mit ihrem Bruder, dem Helenus, als Zwillinge zugleich gebahr. Tzetzes Prolegom. in Lycophr.

3 �. Zuf�lle. Als sie mit ihrem Bruder, dem gedachten Helenus einsmales, noch als ein Kind, des Nachts entweder aus Vergessenheit, oder auch mit Flei� in dem Tempel des thpmbr�ischen Apollo gelassen wurde, so fand man sie fr�h Morgens beyde in dem Zustande wieder, da� sie von Schlangen umwickelt waren, welche ihnen die Ohren auslecketen, sonst aber keinen Schaden thaten. Hieraus schlo� man denn gleich, da� sie beyde gute Wei�ager werden w�rden. Indessen that man sie doch hernach gar in solchen Tempel, damit sie die Wahrsagerkunst darinnen recht erlernete. Tzetz. Prolegom. in Lycophr. Apollo selbst versprach, sie darinnen zu unterrichten, wenn sie ihm wiederum zu Willen seyn wollte. Da sie auf solche Bedingung nun die Kunst von ihm erlernet hatte, so soll sie ihm hernach ihr Gegenversprechen nicht gehalten haben, wof�r aber dieser, weil er ihr die Wissenschaft nicht wieder nehmen k�nnen, gemachet haben soll, da� niemand ihren Prophezeyungen geglaubet. Apollod. lib. III. c. 11. �. 5. Dieses soll er dadurch zuwege gebracht haben, da� er sie verstellter Weise zum wenigsten um einen Ku� gebethen, und als sie ihm diesen endlich geben wollen, so habe er ihr in den Mund gespyen, wodurch es denn geschehen, da� man alle ihre Wei�agungen f�r L�gen und Unwahrheiten gehalten. Serv. ad Virgil. Aen. II. v. 247. Dieses bef�rderte denn auch des ganzen trojanischen Reiches Untergang. [640] Denn als sie schrie, was sie konnte, da� Feinde in dem h�lzernen Pferde stecketen, und man sich also vor demselben in Acht nehmen sollte; Hygin. Fab. 108. & Virg. Aen. II. �. 46. ja, sie auch selbst hinzu lief, solches zu verbrennen, so verspottete man sie nur, und ri� ihr die Fackel weg. Quint. Calab. L. XII. 516. sqq. Dessen ungeachtet aber war sie dennoch eine Priesterinn der Minerva, Serv. ad Virgil. l. c. v. 404. und hatte an dem Kor�bus ihren Liebhaber, der auch dem Priamus, da alles schon mit ihm zu Ende gieng, erst noch zu H�lfe kam, und bey erfolgtem Uebergange der Stadt sein Aeu�erstes that, die Feinde wieder zur�ck zu treiben. Als er aber sah, wie Cassandra bey den Haaren aus dem Tempel der Minerva heraus geschleppet wurde, und, da ihr die H�nde gebunden waren, dennoch mit den Augen gen Himmel seufzete, so fiel er als rasend auf diejenigen, welche sie also mishandelten, wurde aber von der Menge �berw�ltiget und unter andern mit niedergemacht. Virgil. l. c. v. 341. sqq. Es war aber insonderheit der wilde Ajax Olei, welcher sie in besagtem Tempel antraf, und von der Bilds�ule der Pallas bey den Haaren wegri�, wie man es noch auf einigen geschnittenen Steinen sieht. Maffei Gem. ant. T. II. tav. 73. p. 158. Tab. Iliae. n. 60. 64. Lipperts Dactyl. II Taus. 194. Nachdem er auch mit ihr nicht, wie mit einer k�niglichen Prinze�inn, umgegangen, Hygin. Fab. 116. so wurde sie endlich mit zu den �brigen Gefangenen gebracht. Es lie� sich aber Agamemnon kl�rlich merken, da� er sich in sie verliebet hatte, und sie wurde ihm also zur Sklavinn zugeschlagen, Dictys Cret. lib. V. c. 13. da er sie denn mit sich nach Mycene nahm. Hygin. l. c.

4 �. Tod. Klyt�mnestra, Agamemnons Gemahlinn, war sehr eifers�chtig auf sie, ob sie gleich selbst ihrem Gemahle nicht gar zu treu blieb. Als daher Aegisthus solchen Agamemnon nebst der Cassandra und andern seinen guten Freunden zu Gaste lud, w�hrender Mahlzeit aber ihn verr�therisch �berfiel und niedermachte, so verfuhr [641] Klyt�mnestra mit der guten Cassandra auf gleiche Art. Sie wurde auch mit ihr noch eher, als Aegisthus mit dem Agamemnon, fertig; indem dieser noch ihr Klaggeschrey h�rete, ehe er selbst starb. Homer. Od. Λ. v. 421. Einige wollen, sie habe solche mit einer Axt erschlagen, Pindar. & Philostrat. ap. Potter. ad Lycophr. v. 1110. und zwar, da sie den Agamemnon im Bade bedienen m�ssen. Lycophron v. 1108. & Aeschylus ap. Canter. ad eumd. l. c. Wenigstens wird es so auf einem Gem�lde vorgestellet, wo sie in priesterlicher oder Wahrsagertracht ist, die Kronen wegwirft, und eben auf den Agamemnon fallen will, als ob sie ihn mit Vorsatze umarmen wollte. Sie sieht zart und g�ttlich aus, und drehet ihre Augen nach der schon durchdringenden Axt, womit die wild aussehende Klyt�mnestra in fliegenden Haaren sie ermordet, so da� man sie gleichsam dar�ber schreyen h�ret. Philostrat. Icon. L. II. n. 10. p. 826. sq. Sie hatte von sich selbst prophezeyet, da�, wenn dem Agamemnon der Kopf werde von einander gespalten seyn, so werde sie auch an dessen Badegef�� oder Wanne zu liegen kommen, und ihr Klyt�mnestra noch nach ihrem Tode den R�cken von einander hauen, und den ganzen Leib zerfleischen, nachdem sie ihr als einer Ehebrecherinn mit dem Fu�e auf den Hals werde getreten haben, ungeachtet sie als eine Gefangene und Leibeigene Sklavinn dem Agamemnon zu Gebothe stehen m�ssen. Lycophr. l. c. Wie sie nun mit demselben in solchem Zustande die zween Zwillingss�hne, Teledamus und Pelops gezeuget hatte, so schlachtete auch beyde hernachmals Aegisthus bey dem Grabe ihres Vaters. mit ab. Pausan. Corinth. c. 16. p. 114.

5 �. Gestalt. Sie soll die sch�nste unter des Priamus T�chtern, Hom. Il. Ν. 363. und von Statur mittelm�ssig gewesen seyn, einen runden Mund, r�thliches Haar, und helle blinkende Augen gehabt haben. Dares Phrygius. c. 12. Wenigstens soll sie dem Agamemnon so sch�n vorgekommen seyn, da� er sie f�r das allersch�nste Frauenzimmer [642] gehalten hat. Philostrat. Icon. L. II. n. 10. p. 827.

6 �. Verehrung. Sie hatte zu Leuktra in Lakonien ihren besondern Tempel, und wurde darinnen unter dem Namen Alexandra, verehret. Pausan. Lacon. 026. p. 14. Ihr Begr�bni�maal aber war zwischen Mycene und Amykla zu sehen, wie auch Agamemnons seines, und ihrer beyden Kinder ihres. Id. Corinth. c. 16. p. 113.

7 �. Wahre Historie. Da� alles mit ihr geschehen k�nnen, was beygebracht worden, wird vermuthlich niemand leichtlich in Abrede seyn, au�er da� es ein offenbares Gedicht ist, was von ihr und dem Apollo gemeldet wird. Daher halten einige nicht unwahrscheinlich daf�r, da� sich ein Priester des Apollo in gedachtem Tempel in der Prinzessinn gute Gestalt vergaffet, und sie gegen Versprechung, da� er sie die Wahrsagerkunst lehren wolle, zu seinem Willen zu bereden gesucht habe, auf welche Bedingung sie sich denn auch zum Scheine eingelassen. Als sie aber die Kunst einmal begriffen, so habe sie ihm nicht Wort halten wollen, da er denn sich wieder an ihr zu r�chen, den Priamus und andere beredet, da� Cassandra zur N�rrinn geworden sey, und also ihren Prophezeyungen niemand zu glauben habe. Dieses gelang ihm denn auch, zum Verderben des ganzen trojanischen Reiches, gl�cklich, wogegen die gute Cassandra von ihrem Vater in einem festen Thurme versperret wurde, damit sie dem Volke mit ihrem Wahrsagen nicht zum Gesp�tte und Gel�chter dienete. Tzetzes Prolegom. ad Lycophr. Andere wollen, da� ihre, H�ndel mit dem Apollo auf nichts mehr gehen sollen, als da� sie die Wahrsagerkunft studiret; und da Apollo ein Vorsteher derselben ist, so soll sie von solchem so fern geliebet worden seyn, als sie darinnen ziemlich erfahren geworden. Da man ihr aber von ungef�hr nicht Glauben beymessen wollen, so habe man gedichtet, als ob sie dem Apollo ihre Erkenntlichkeit versaget, dieser aber dargegen gemacht, da� ihre Wahrsagungen alle f�r Unwahrheiten [643] angesehen worden. Boccacc. l. VI. c. 16. Wollte jemand das f�r etwas wunderbares und unglaubliches annehmen, was von ihr und den Schlangen gesaget worden: so findet sich keines von beyden bey solcher Sache, weil diese Thiere sich eben so wohl zahm machen und zu allerhand ihnen sonst nicht eigenen Dingen, als andere, gew�hnen. lassen, dergleichen denn die Pfaffen in des thymbr�ischen Apollo Tempel auch gehabt, und ihre Gaukeley damit zur Beth�rung des einf�ltigen Volkes gemacht haben k�nnen.

8 �. Anderweitige Deutung. Nach einigen soll sie zum Exempel dienen, da� man mit seinen Rathschl�gen und Erinnerungen sich wohl nach der Zeit schicken, und sich mit selbigen nicht hartn�ckig und ungest�m erweisen solle. Denn wer sich also bezeigen wollte, der bequemet sich nicht nach dem Apollo, als Gott der Harmonie, und nimmt der Dinge Weise und Maa� nicht in Acht, erh�het oder erniedriget seine Stimme auch nicht so, wie er soll; oder unterscheidet die Ohren nicht, die ihn h�ren. Er richtet also mit seinem Rathen und Erinnern nicht viel aus, sondern zieht sich vielmehr oder auch denen, welchen er sich aufdringt, selbst das Verderben zu, und wird nicht eher f�r einen Propheten und vorsichtigen Mann erkannt, als bis ein ungl�cklicher Ausgang die Wahrheit seiner Reden erwiesen hat. Baco Verulam. de Sap. Vet. c. 1.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gr�ndliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 639-644.
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